Strategiepapier 2011

 

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Menschenrechte in Belarus e.V.

Strategiepapier 2011
zur Lage in Belarus und Empfehlungen für aktive Maßnahmen
der Europäischen Union sowie ihrer Mitgliedstaaten
September 2011


I Die Lage

  1. Die Wirtschafts- und Finanzkrise in Belarus- Folge der Planwirtschaft und der abnehmenden Subventionierung durch Russland - stellt den "contract social" in Frage, der zwischen dem Präsidenten als dem Garanten der wirtschaftlichen und sozialen Stabilität und schrittweisen Verbesserung und der Bevölkerung besteht. Vor diesem wirtschaftlich-sozialen Hintergrund haben viele Menschen im Lande die vielfältigen Beeinträchtigungen der international garantierten Menschen- und Bürgerrechte hingenommen hat. Nun nimmt die Unzufriedenheit der Bevölkerung zu, auch die Solidarität mit den Opfern der Verfolgung. Das Regime fürchtet den Aufstand, der in den Köpfen vieler Bürger schon lange thematisiert ist. Das Regime will dem Aufstand mit zunehmenden Repressionen zuvorkommen. Lukaschenko drängt die Partner in der "Collective Security Treaty Organisation (CSTO)", einem Bündnis, dem neben Belarus Russland, Armenien, Kasachstan, Kyrgistan, Tadjikistan und Usbekistan angehören, eine kollektive Interventionsstrategie gegen innere Aufstände zu vereinbaren.

    Mit administrativen Mitteln versucht das Regime, die Folgen der wirtschaftlichen und finanziellen Engpässe zu meistern. Die russisch dominierte Eurasische Wirtschaftsunion hat einen bedeutenden Kredit eingeräumt. Russische Kredite werden an Privatisierungsforderungen gebunden; neue IWF-Kredite bleiben eine vage Hoffnung, die sich bei Fortdauer der Unterdrückungsmaßnahmen kaum erfüllen kann.

  2. Der Präsident verstärkt die Unterdrückungsmaßnahmen, um des Machterhalts willen. Er wird wegen der Gewaltpolitik nicht nur im Westen, sondern auch von Moskau kritisiert. Moskau begrüßt es, dass Lukaschenko verwundbar geworden ist. Die Offenlegung der Schwächen von Lukaschenko gehört in der russischen Presse zu den Selbstverständlichkeiten des Tages. Moskau erleichtert die Arbeitsaufnahme von Belarussen in Russland. Belarussische Kreise in Moskau planen für die Zukunft. Aber mögliche Nachfolger Lukaschenkos werden sich angesichts der zunehmend negativen Haltung der Bevölkerung gegenüber russischen Unternehmensübernahmen in Belarus nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten "in das russische Lager" ziehen lassen wollen.

  3. Die Europäische Union setzt im multilateralen Rahmen der Östlichen Partnerschaft ungeachtet der unbefriedigenden inneren Entwicklungen auf offizielle und auf gesellschaftlich verankerte Entwicklungen und Aktivitäten in Belarus, vermeidet aber im bilateralen Verhältnis den Anschein vertrauensvoller Beziehungen. Ohne die Freilassung aller politischen Gefangenen kann es keinen Neubeginn geben. Aus den Verfahren gegen die Führer der und Mitarbeiter der Opposition dürfen in künftigen Wahlkämpfen keine rechtlich relevanten Einschränkungen abgeleitet werden, z.B. bei der Registrierung als Kandidaten in Wahlen.

    Angesichts der weiteren Zuspitzung der Lage in Belarus hält die Vereinigung "Menschenrechte in Belarus e.V." die Ernennung von Sonderbeauftragten der Europäischen Union und einiger nationaler Regierungen für die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft in Belarus für das Gebot der Stunde (siehe Abschnitt II - "Vorschläge für konkrete Maßnahmen").

  4. Im Raum steht unausgesprochen der Gedanke an einen neuen "Kuhhandel": Finanzhilfe gegen Freilassung der politischen Gefangenen. Lukaschenko stellt die Entlassung politischer Gefangener in Aussicht und lädt mit unpräzisen Formulierungen zu einem Öffentlichen Runden Tisch mit der Zivilgesellschaft ein, an dem auch das Ausland beteiligt werden soll.

  5. Sanktionen - Es besteht Einverständnis, dass Sanktionen gezielt auf das Führungspersonal und auf Staatsunternehmen konzentriert sein sollten, die von profilierten Parteigängern Lukaschenkos geführt werden. Mitarbeiter des Staatsapparates, die für Repressionen gegenüber Bürgerinnen und Bürgern des Landes, die für ihre Grundrechte eintreten, Verantwortung auf sich genommen haben, sollen konsequent mit Einreiseverboten in die Europäische Union belegt werden. Kredite westlicher Institutionen und nationaler Einrichtungen sollen nicht erteilt werden, solange es politische Gefangene in Belarus gibt und solange keine nachhaltige Verbesserung der Menschenrechtssituation eingetreten ist.

  6. Die politischen und Menschenrechts-Strukturen der Zivilgesellschaft, die national und international durch die Östliche Partnerschaft Ansehen gewonnen hatten, sind durch die Unterdrückungs-Maßnahmen nach dem 19. Dezember 2010 und durch den Zugang der Regierung zu Informationen über die in Warschau und Vilnius von Nichtregierungsorganisationen geführten Bankkonten in der Substanz geschwächt worden. Die in Menschenrechtsfragen aktive Zivilgesellschaft hat ihre politisch relevante Handlungsfähigkeit weitgehend verloren. Das gilt auch für die Basisorganisationen, die in den letzten Jahren mit einheimischen Strukturen systematisch die Wahlen beobachtet hatten.

II Vorschläge für konkrete Maßnahmen

Unter den schwierigen Rahmenbedingungen eines rigorosen Herrschaftssystems ist eine aktive Politik der Europäischen Union und der EU-Mitgliedstaaten vor allem gegenüber der Zivilgesellschaft des Landes von noch größerer Bedeutung als in den vergangenen Jahren. Deshalb ist die Ernennung eines Sonderbeauftragten der Europäischen Union und solcher Sonderbeauftragten auf nationaler Ebene zur Vertiefung und Erweiterung der Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft in Belarus politisch und organisatorisch geboten. Dies ist die wichtigste der Maßnahmen, die getroffen werden müssten, um eine kohärente, wirkungsvolle und nachhaltige Politik der Europäischen Institutionen und nationalen Regierungen sowie der Nichtregierungsorganisationen in Europa zu erreichen.

Es gilt auch, im Wege wirksamerer Koordinierung belarussische Staatsangehörige im Ausland gegen Übergriffe und Manipulationen durch staatliche und staatloch kontrollierte belarussische Einrichtungen wirksam zu schützen.

Diese Maßnahmen sollte mit großer Dringlichkeit getroffen und durch Maßnahmen auf anderen Feldern ergänzt werden, nämlich:

  • Aufhebung der Visumsgebühren und Herstellung der Visumsfreiheit
  • Förderung Östliche Partnerschaft, vor allem Bereitstellung zusätzlicher Mittel für das Zivil-Forum)
  • Massive Ausweitung der Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten für junge Belarussen
  • Förderung der Einheimische Wahlbeobachtung (ODIHR wird durch politische Aktivitäten der Russischen Föderation auf hoher und höchster Ebene derzeit geschwächt)
  • Förderung der unabhängigen Medien
  • Belarus-Konferenz in Berlin, beginnend mit einer Konferenz zur Identität von Belarus in Geschichte, Gegenwart und in der Zukunft
  • Publikationen zu dem Thema "Belarus und die EU"
  • Publikationen zu dem Thema "Menschenrechte in Belarus"
  • Aktive Förderung der Europäischen Humanistischen Universität (Minsk/Vilnius) - EHU - durch Bundesrepublik Deutschland

Dr. Hans-Georg Wieck
Vorsitzender

Stefanie Schiffer
Stellv. Vorsitzende

Christoph Becker
Stellv. Vorsitzender

 

 

 

 

 

Repression in Belarus

In Belarus, einem der neuen Nachbarn der Europäischen Union in Osteuropa, werden Menschenrechte massiv verletzt. Präsident Alexander Lukaschenko, 1994 nach einer demokratischen Verfassung gewählt, hat das Land mit einem Verfassungscoup im November 1996 und danach in einen neo-sowjetischen autoritären Staat umgewandelt:

Die Geltung von Verfassung und Gesetzgebung wurde durch die Willkür von Präsidialdekreten ersetzt.

Die Teilung zwischen der Exekutiven, der Legislativen und der Judikativen Gewalt des Staates wurde aufgehoben.
Wahlen werden systematisch manipuliert. Das Parlament hat keine Rechte. Das Budget des Präsidenten unterliegt der Geheimhaltung.
Die elektronischen Medien liegen in der Hand der Staatsmacht. Die freie Presse wird behindert, kritische Journalisten werden verfolgt.
Regierungsunabhängige Organisationen werden verboten.

Führende Oppositionelle wurden ermordet oder „verschwanden“.

Diese und andere Menschenrechtsverletzungen sind von weißrussischen und internationalen Menschenrechtsorganisationen sowie von Europarat, OSZE und Vereinten Nationen dokumentiert worden. Doch das Regime von Lukaschenko kann sich zunutze machen, dass das politische Interesse an Weißrussland in Europa gering ist. Darunter leiden die alle Menschen in Weißrussland, die Opfer der Repression werden und sich demokratisch-rechtsstaatliche Verhältnisse in ihrem Land wünschen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
 

 

 

Vorstand Dr. Hans-Georg Wieck
Stefanie Schiffer
Christoph Becker

 

Kontakt Postfach 330516, 14175 Berlin